Im Vertrauen.

Im kleinen Garten ist Bewegung ...

 

Eine kleine grüne Raupe schiebt sich auf dem Rand des Hochbeets vorwärts. Sie macht immer mal eine Pause und scheint ihre Umgebung mehr zu erfühlen als sie zu betrachten. Fasziniert schaue ich dem kleinen Wesen zu und gebe ihm, wohl abgeleitet von «Raupe», den Namen Röby.

 

Röby’s Kriechbewegungen wirken irgendwie anstrengend und doch elegant. Ich stelle mir vor, wie wir Menschen uns in einem Schlafsack wohl vorwärts bewegen würden ...? Irgendwie würden wir das hinkriegen, es wäre aber bestimmt sehr anstrengend und sicher viel weniger elegant.

 

Raupen fressen sich durchs Leben. Sehr intensiv. Dadurch, dass sich das Körpervolumen der Raupen stark vergrössert, häuten sie sich mehrmals. Am Ende des Raupenstadiums gehen sie in eine festere Hülle, in einen Zustand über, der äusserlich als Ruhezustand erscheint. In dieser Verpuppung verändern sie sich wesentlich. Sie bilden Flügel aus und verwandeln sich in einen Schmetterling. Über diese beeindruckende Metamorphose kann man natürlich viel nachlesen. Wissenschaftlich wurde dieser Prozess minutiös ergründet und detailliert festgehalten.

 

Noch faszinierender ist die philosophische Frage: weiss die Raupe, dass sie zum Schmetterling wird ... oder weiss der Schmetterling, dass er eine Raupe war?

 

Wenn man der Raupe Aufmerksamkeit schenkt und sich fragt, in welcher Form sich dieses Wesen Gedanken machen könnte, fällt es schwer, das wissenschaftliche Wissen zu integrieren. Die Raupe macht einfach. Sie bewegt sich vorwärts, dreht ab und geht einen neuen Weg, wenn es vonnöten ist. Ob die Raupe weiss, dass sie einmal fliegen wird, während sie kriecht ...? Diese Antwort kann uns die Wissenschaft nicht geben.

 

In jedem Fall bewegt sich die Raupe. Frisst. Wächst. Häutet sich. Passt sich ihrer Umgebung an.

So geht sie vorwärts. Unbeirrt. Vom Instikt geleitet. Von einem inneren Drang. Von innerem Wissen ...?

 

Wenn wir den Transformationsprozess der Raupe auf uns Menschen übertragen, könnte man die offensichtliche Metapher daraus ziehen: unersättliches Futtern macht grösser und man braucht, symbolisch zur Häutung der Raupe, immer wieder mal neue Kleidergrössen. Die Metapher hat aber eher etwas tiefes, spirituelles ...

 

In unserem Leben lernen wir immer etwas Neues dazu, wenn wir es zulassen. Jeden Tag. Unser Geist und die Seele wächst an Erlebnissen und Erfahrung. Wir futtern uns durch das Leben, das uns unzählige Blätter bereit hält. Manchmal fühlt man sich satt, obwohl sich ein saftiges Blatt vor uns entfaltet ... und manchmal ist man hungrig, umgeben von Blattskeletten. Wie die Raupe es vormacht, ist in Bewegung bleiben der Weg. Vorwärts. Auch, wenn man sich manchmal drehen und wenden muss ...

 

Obwohl uns die Natur unzählige Wunder wie die Transformation der Raupe zum Schmetterling offen darlegt, zögern wir, uns dem Gedanken hinzugeben, dass unser Leben ebenso ein Entwicklungsprozess ist. Ein Prozess des Wachsens und Erwachens. Wie lange dauert der Prozess? Wie oft muss man sich häuten? Wie lange muss man kriechen? Wird man im Leben zum Schmetterling oder erst im Sterben ... nach dem Tod?

 

Weiss das die Raupe?

Trotzdem geht sie vorwärts. Im Hoffen. Im Wissen. Im Vertrauen.

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