ALL YOU ZOMBIES.

«Holy Father, what’s the matter?

Where have all your children gone?

Sitting in the dark, living all by themselves ...

You don’t have to hide anymore!

All you zombies show your faces.»

 

«Heiliger Vater, was ist los? 

Wohin sind alle deine Kinder gegangen? 

Sitzen im Dunkeln, leben alle nur für sich ...

Ihr müsst euch nicht mehr verstecken! 

All ihr Zombies, zeigt eure Gesichter.» The Hooters, «All you zombies» (1983)

 

Der Sommer schleicht langsam davon. Verfärbte Blätter kündigen den Herbst an.

Die Grippesaison kündigt sich ebenfalls an ... wird angekündigt – in einem Jahr das schon lange von einem Virus bestimmt wird. Unsere Gesellschaft hat sich dadurch verändert. Weltweit. Vieles ist anders. Manches ist gleich. Vieles betrifft alle. Manches nur wenige. Was ist besser? Was ist schlechter? Ansichtssache? Wie wertet man solche Dinge überhaupt? Nach welchem System? Gibt es überhaupt ein System dafür, oder ist es nur eine weitere, vorfabrizierte Schablone, die vorgibt, wie etwas sein soll ... zu sein hat?

 

Gerade die höchste aller Schutzmassnahmen gegen das C-Virus, «Distanz», hat das Verhalten der Menschen nachhaltig verändert. An vieles hat man sich schon gewöhnt. Irgendwie. Manchmal bewegt man sich an öffentlichen Orten und nimmt kaum wahr, dass sich etwas geändert hat. Aber spätestens bei der Begrüssung wird klar, dass nichts mehr ist, wie es war. Das C-Thema ist nachwievor omnipräsent und hat sich selbst im normalen Smalltalk hartnäckig eingenistet.

 

Die antrainierte Prägung der Einhaltung von physischer Distanz verändert immer mehr das Denken aller. Der Abstand wird nicht nur physisch sondern auch immer mehr mental eingehalten. Richtig angewendet, kann dies im Grundsatz auch etwas Gutes haben. Dadurch, dass in den letzten Jahren mit Apps und technischen Hilfsmitteln die menschliche Berührung immer mehr verdrängt wurde, entsteht emotionale Verwahrlosung. Sympathie und Empathie verwandeln sich in dumpfe Wahrnehmung. Das Gedankengut hat oft tiefere Kluften als zwei Meter. Lebendige Menschen verwandeln sich in Zombies.

 

Zombies dienen in der Popkultur als Metapher für angepasstes Dahinvegetieren, unterwürfigen und kritiklosen Gehorsam («Kadavergehorsam»), passiven Konsum und Desinteresse. Im Gegensatz steht Rebellion, Autonomie, unabhängige Ästhetik und Individualismus. Es wäre sicher weit hergeholt zu sagen, dass die «Kronen-Zeit» Menschen zu Zombies gemacht hat. Diese Verwandlung ist schon viel früher geschehen. Die aktuelle Zeit scheint den Verwesungsprozess höchstens zu beschleunigen.

 


Es gibt viele Meinungen. Grundsätzlich. Zum aktuellen Welt-Thema Nr. 1, zigfache. Welche davon stimmen? Welches sind nur zitierte Halbwahrheiten? Trotz vielen Falschmeldungen zugunsten oder gegen die Thematik, sind zwei Lager entstanden. Grauzonen werden von Schwarz und Weiss zerschmettert. Alternative Gedanken werden von Fakten erwürgt. Auch, wenn es nur eine Frage oder Hinterfragung ist, wird diese oft als Kritik angesehen, um Wortgefechte zu rechtfertigen. Die Gesundheit sollte an beiden Fronten im Vordergrund stehen und nicht Teil der Debatte sein.

 

Wie geht die Jugend mit dieser Zeit um? Werden die Massnahmen für sie schon zum routinierten Tagesablauf, den sie später als Erwachsene nicht anders kennen werden? Bis Ende des letzten Jahres war es anständig und normal, dass man sich zur Begrüssung die Hand reicht. In wenigen Monaten wurde diese Geste antik und wird in ein paar Jahren vielleicht vergessen sein. Erwachsene lehnen die Begrüssung von Jugendlichen ab oder bieten von der unerwarteten Geste überrascht, den Ellenbogen oder ganz modern die Ghettofaust an. Wie wird die Veränderung von diesen Traditionen vermittelt, in einer Zeit wo selbst Autoritätspersonen nicht mehr wissen, was richtig ist? Der Knigge muss wohl ziemlich sicher umgeschrieben werden ... ob er noch Platz hat in dieser Zeit?

 

Eltern stehen ausdruckslos da, während die Kinder ihrem Freigeist nachgehen. Erst wenn es kracht, schreit oder zu still ist, bewegt sich ein Elternteil und greift ein. Kinder sollen Raum haben. Unbedingt. Es ist eher die Ermattung der Eltern, die so gerne dem «Müssen» ausweichen wollen, die zu denken gibt. Es wirkt nicht wie eine natürliche sondern resignierte Handlung. 

 

Aufmerksamkeit. Interesse. Nachhaltigkeit.

Vieles davon geht in der zwischenmenschlichen Beziehung verloren. Gedanken haben sich in der eben benutzten App, der geschriebenen sms oder dem vergebenen like verheddert und hinterlassen einen leeren Blick beim Gegenüber oder bei sich selbst. Die Verwesung geschieht am lebendigen Leib. Isolation ist nicht nur eine vom Staat geforderte Massnahme sondern ein Symptom im Bewusstsein.

 

Vollgestopfte Leben fallen ins Leere. Leere Leben laben sich an der entstandenen Homogenität.  

Kultur und Unterhaltung sind vor allem in der Erinnerung farbig. Langersehnte Events verschwinden im Kalender oder verschieben sich auf irgendwann. Vorfreude erlischt und macht Abwarten Platz. Resignation. Entkräftung. Freudlosigkeit. Perspektiven verschwinden.

 

Zombies. Überall. So scheint es.

Diese Beobachtung und Wahrnehmung wird von der Tatsache verdrängt, dass es selbst in der Fiktion keine Welt gibt, die nur von Zombies bevölkert wird. Die Überlebenden, die Menschen, stehen der Übermacht der Untoten immer gegenüber. Am Ende siegt immer die Menschlichkeit. Das Leben.

 

Auch wenn man an sich selbst schon Symptome bemerkt hat, oder sie vom nahen Umfeld hat entlarven lassen – ohne dies gerne einzugestehen – kann man der Zombifizierung entgegenwirken. Die Veränderung des Alltags ist das beste Heilmittel. Andere Wege gehen, sei es nur ein anderer Heimweg, andere Düfte zulassen, neue Geschmäcker. Etwas essen, das man nicht kennt. Farben tragen, die ungewohnt sind. Blickwechsel. Einen Liebesroman lesen, wenn man Krimis mag, den Blick vermehrt vom Bildschirm lösen. Berührung, Emotionen und Gefühle zulassen, die uns zu Menschen machen. Schmunzeln. Lachen. Schluchzen. Weinen. Ungeniert und ungehemmt. Wir leben – so wollen wir es kosten.

 

Vielleicht will unsere Gesellschaft Zombies züchten?

Willenlose Geschöpfe sind gehorsame Arbeiter und beeinflussbare Konsumenten.

Unsere Erde will Menschen. Dankbare und demütige Wesen, die das Leben und die Schöpfung preisen.

 

Mit jedem Herzschlag. Mit jedem Atemzug.

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