«Die Zeit ist schlecht? Wohlan. Du bist da, sie besser zu machen.» Thomas Carlyle
Das neue Jahr ist noch blutjung.
Die entsprechend blutigen Schlagzeilen haben nicht lange auf sich warten lassen. Der Jahreswechsel ändert zwar die Schreibweise und Anzeige der Jahreszahl auf Kalendern und Displays – Menschen aber vermag der 1. Januar nicht zu verändern.
Aber wir würden einem Jahr auch recht viel zumuten, hätte es die Kraft, beim Anstossen an Silvester um Punkt Zwölf Uhr, den Menschen Frieden und Liebe in die Herzen zu pflanzen. Ob ein Jahr gut oder schlecht war, ist aber nur eine Zuordnung, die wir Menschen ihm zuschreiben. Jedes neue Jahr ist so unschuldig wie jedes andere davor. Wie das Jahr werden wird, wie es ist oder war, wird immer durch unsere Taten definiert. Das war schon immer so.
Wie das vergangene Jahr und die letzten Tage beweisen, werden Taten zunehmend nur noch durch Gewalt wahrgenommen. Feuer, Blut und Tränen sind die Botschafter unserer Geschehnisse. Geschichten, die ein Lächeln auslösen, sind Randerscheinungen unter «Verschiedenes». Freude ist flüchtig und löst Neid aus. Fremde Tränen machen zufrieden, weil es nicht die eigenen sind. Abgestumpft beklatscht das Publikum über alle Kanäle selbst menschliche Abgründe. Erst mit Sympathie und Empathie teilt man Freude und Trauer. Mit Menschlichkeit.
«Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.» Antoine de Saint-Exupery
Viele Gedanken, Vorsätze, Pläne und Absichten entstehen in den ersten Tagen eines neuen Jahres. Agenden werden mit Terminen gefüllt, die erst in kommenden Monaten sein werden. Auf lateinisch heisst Agenda «das zu Tuende, was getan werden muss». Ob man dann all die geplanten Dinge auch wirklich tun kann oder nicht, weiss man nicht – unabhängig davon, ob die Zeiten gut oder schlecht sind. Das Jahr 2020 hat diesbezüglich so einiges aufgemischt ...
Viele Anlässe finden zurzeit nicht statt oder geschehen vor leeren Rängen. Sport, Musik und Theater werden erst durch das Publikum lebendig. Sportler, Musiker und Künstler werden durch Zurufe und Applaus zu Höchstleistungen angetrieben. In Form von Geisterveranstaltungen, werden die Darbietenden selbst, wohl nach und nach entschwinden. Sie werden zu Geistern. Unsichtbar. Mit der Zeit geraten sie in Vergessenheit.
Die Entwicklung der letzten Monate, in der Distanz gelebt wurde, hat eine neue Generation von Coach-Potatoes hervorgebracht. Das Live-Publikum in TV-Shows wurde in die Wohnstuben verbannt und durch Papp-Figuren ersetzt. Der ungeplante, spontane TV-Moment wurde damit endgültig begraben. Stars leuchten aus und ermatten. Hat gerade die allgegenwärtige Abstinenz den Drang zur Selbstdarstellung genährt?
Die digitale Welt verbindet Menschen auf aller Welt und lässt schöne Momente teilen, wenn es auf andere Art nicht möglich ist. Wie sich in Fischernetzen nebst dem Fang auch Abfälle verheddern, ist das weltweite Netz ebenso vermüllt. Die Social Media-Kanäle sind randvoll mit digitalem Nonsens. Politische Meinungen, abstruse Verschwörungstheorien, Hass-Kommentare und vorgeschlagene Rückblicke, finden sich zwischen Epic-Fails-Videos, unzähligen Selfies und Influencern, die gut bezahlt, Unnötiges bewerben.
Sichtbar. Sei es nur durch likes und Klicks.
Der Rückzug der Menschen in die eigenen vier Wände ist für viele ein Segen, für andere ein Fluch. Meinungen, die nicht im Gespräch ihr Ventil finden, werden gepostet. Anstelle des Teilens von Dingen, die man mag, wie Musik oder alles mögliche, macht man sich über Präsidenten und Prominente lustig. Drohungen und Annahmen werden in Form von Text und Bild formuliert. Mit der digitalen Mithilfe der Dekonstruktion von Menschen dient man weder dem allgemeinen Wohl, noch sich selbst.
«Und in China ist ein Sack Reis umgefallen.»
Relevanz und Irrelevanz tanzen sich eng umgschlungen schwindlig, und verwischen gerade so ihre Aussage. Alles wird zur unwichtigen Wichtigkeit oder wichtigen Unwichtigkeit.
«Am Grunde des Herzens eines jeden Winters liegt ein Frühlingsahnen, und hinter dem Schleier jeder Nacht verbirgt sich ein lächelnder Morgen.» Khalil Gibran
Was wird uns das Jahr 2021 bringen? Wie eng wird das gesellschaftliche Korsett geschnürt? Werden wir durchatmen oder nach Luft schnappen ...? Auch, wenn man Prognosen stellen könnten (dies wurde schon zur Genüge getan), ist Unwissenheit in diesem Falle ein Segen. Hätten frühere Generationen aus Angst vor der Zukunft aufgehört, Kinder zur Welt zu bringen, wären wir bestimmt schon ausgestorben. Vielleicht ist es nüchtern und aus biologischer Sicht betrachtet nur Instinkt, aber vielmehr ist es der Glaube an das Fortbestehen und die Zukunft, der uns antreibt.
Der Wunsch, Spuren zu hinterlassen, ist wohl die Furcht vor dem Tod. Entschwunden. Verblasst. Vergessen. Unsichtbar.
Sichtbar zu sein, ist ein Anspruch, den jeder Mensch in sich trägt. Etwas bewegen. Bewegt werden. Berühren. Berührt werden. Lieben. Geliebt werden. Hören und gehört werden. Sehen und gesehen werden. Dazu braucht es keine Kameras, Bildschirme oder Sozialen Netzwerke. Es braucht Begegnungen und Austausch.
Aber ist nicht gerade das Ungesehene die grösste Kraft?
Das innewohnende Licht in uns strahlt stark und ist dadurch unser Wegweiser und moralischer Kompass. Es ist so stark, dass es unser Sein im Hier und Jetzt definiert. Das Licht strahlt auch dann, wenn es vom Alltag und all seinen Geschehnissen verdeckt wird. Manchmal brauchen wir Hilfe, seine Strahlen zu befreien. Schicht für Schicht. Manchmal mit einem Schlag. In jedem Fall ist es unsere Entscheidung wie stark es leuchtet. Wir selbst machen dieses Licht durch unsere Taten sichtbar.
Liebe.
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