Eigentlich könnte ich Zuhause bleiben. Draussen ist es kalt. Minus-Temperaturen.
Drinnen ist es warm. Ellie, meine samtpfotene Begleiterin, hat sich schon gemütlich auf dem Sofa eingekugelt. Ich könnte mich dazu gesellen und den Abend ausklingen lassen. Warum noch raus? Und doch will ich dem Impuls folgen, der mich am Feierabend gepackt hat: die Füsse vertreten.
Der innere Schweinehund versucht mit seiner komischen Mischung aus Grunzen und Bellen mein Vorhaben zu sabotieren. Diese Runde gewinnt er nicht. Noch nicht ganz überzeugt davon, dass ich es durchziehe, quiekt-winselt er zwar schon kleinlaut, aber immer noch frech. Ich ziehe mich an und gehe raus. Er gibt Ruhe. Er lacht aber wohl über mich, denn, es ist wirklich kalt. Das ist gut so. Nicht, dass der Schweinehund lacht, sondern, dass es kalt ist. Immerhin ist es Januar.
Die Strassen sind leer. Kaum Verkehr. Nur sehr wenige Menschen sind unterwegs. Liegt es an der Uhrzeit? An der Kälte? An den geschlossenen Restaurants? Hm? Auch in der Altstadt angekommen, bleibt das Bild gleich. Leere Gassen. An den meisten Läden und Geschäften verweist ein Aushang auf die aktuellen Covid19-Massnahmen. Die Inhaber erklären kurz oder ausführlich und mehr oder weniger zuversichtlich, dass sie sich darauf freuen, ihre Kunden irgendwann wieder begrüssen zu können. Für einige Läden werden sich die Türen aber vielleicht nicht mehr öffnen ...?
Je nach Zeit und Stunde waren Städte schon oft halb leer und unbelebt. Auch vor der Kronenzeit.
Aber irgendwie wirkt es heute anders. Verändert. Bewusster. Rückzug. Kapitulation. Gehorsam. Gespenstische Ruhe nimmt die Stadt ein. Nachdenklich betrachte ich die Angebote der verschiedenen Läden der Altstadt. Ich schaue mir die Schaufenster reizlos und flüchtig an. Die Gewissheit, dass sie in der nächsten Zeit sowieso nicht öffnen, schmälert mein Interesse. Die Kirchenglocken verkünden derweil eine volle Stunde.
Auch der Rathausplatz ist leer. Keine Leute. Nur ein Mini Cooper steht einsam vor der Krone, die so verlassen ist, wie alle anderen Restaurants. Jemand sitzt am Steuer und wartet. Ich schaue mir den eindrücklichen Platz an und geniesse den Anblick der historischen Gemäuer. Immer wieder schön. Zu jeder Jahreszeit. Ich horche auf, weil der Mini Cooper plötzlich die Türen verriegelt. Ohne dies zu werten, gehe ich weiter Richtung Aare. Dann höre ich, wie die Türen wieder entsperrt werden. Hm? Habe ich so angsteinflössend gewirkt? Hatte es gar nichts mit mir zu tun? Hm? Eigentlich egal. Und doch, hat mich die Reaktion ein bisschen gekränkt.
In einer leeren Stadt wirkt man zu später Stund als Spaziergänger wohl verdächtig? Irritierend? Gefährlich? Es ist 21.02 Uhr. Na ja, ich kann die nächtliche Vorsicht niemandem verübeln. Man sagt ja auch: Nachts sind alle Katzen grau. Und Goethe schreibt: «Wer kennt den Schelm in tiefer Nacht genau? Schwarz sind die Kühe, so die Katzen grau.»
Und das ist auch gleich mein Stichwort. Ellie ist grau. Tagsüber und auch nachts.
Sie liegt wahrscheinlich immer noch von der Decke gewärmt auf dem Sofa, und träumt vor sich hin. So wie es mich in die Nacht gezogen hat, zieht es mich jetzt zurück aufs Sofa. Ich laufe weiter und streife die vom Mini Cooper ausgelöste Verdächtigung, dass ich Übles im Schilde führen könnte, von mir ab. Ich überquere das Rathausbrüggli. Unter mir die Aare. Auf der ruhigen Wasseroberfläche spiegeln sich die Neonlichter, deren Botschaft heute Nacht und auch morgen unbeantwortet bleibt.
Die Nacht gehört niemandem. Ihre dunkle Umarmung bietet sie aber allen an. Die Nacht hat die Menschen schon oft verschluckt und wieder ausgespuckt. Zu diesen Zeiten scheint aber selbst die Finsternis hungrig zu bleiben. Es ist 21.10 Uhr. Vielleicht bin ich zu früh unterwegs? Zu früh um skurrile, verdrehte, spontane und wundersame Geschichten zu beobachten, die die Nacht mit den Menschen erzählt? Vielleicht bin ich aber zu spät unterwegs? Liegt es gar nicht an der Uhrzeit, sondern an der Zeit an und für sich? Zu spät für dieses, zu früh für jenes?
Ich wünsche mir, dass all die Geschichten die ausbleiben, hinter vorgezogenen Vorhängen stattfinden. All den Umständen zum Trotz. Jetzt erst recht. Irgendwann, früher oder später, werden sich die Strassen wieder mit Leben füllen. Überbordend. Überschwänglich. Furchtlos. Frei.
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B.bee (Freitag, 22 Januar 2021 15:18)
Black hearts needs no light to see the colours of life �
Jwan Reber (Freitag, 02 April 2021 18:05)
Black hearts swallow all the colors and create rainbows.