Einfach stehen bleiben und in die Weite schauen.
Zahlreiche Möwen segeln nahe am Ufer und schreien während ihrer Jagd nach Fressen. Die Wellen rauschen. Der Wind ist angenehm und riecht leicht salzig. Von weitem klingt Musik, deren Klänge schon sehnsüchtig den nahenden Sommer vertonen.
Das Meer. Du.
Mit einem zufriedenen Lächeln drehst du deine Handflächen nach vorne und breitest die Arme aus. So als würdest du die Umarmung eines lange vermissten Freundes erwarten. Mit kleinen Schritten läufst du dem türkisblauen Wasser entgegen. Du nimmst dir Zeit. Wohlig drückt sich der kühle Sand durch deine Zehenzwischenräume und nimmt deine Spuren auf, wie Papier ein Gedicht. Schäumend vereint sich das Meer mit dem Sand und färbt ihn dunkel. Du atmest tief ein und gehst ins Wasser ...
Manchmal tauchen solche Gedanken an Orten auf, wo ihre Verwirklichung ferner nicht sein könnte.
Auf der Arbeit. Beim Einkaufen. Im vollbesetzten Tram. Irgendwo mitten im Betonlabyrinth einer Stadt. Manchmal wünscht man sich fort von dort, wo man gerade ist. Nicht immer ist es Fernweh oder Sehnsucht, die solche Gedanken aktivieren. Auch sind es nicht nur Alltagsfrust oder Job-Sorgen, die den Wunsch am Meer zu stehen, antreiben. Manchmal ist es einfach ein gutes Gefühl, welches das Sehnen nach dem Meer oder einem anderen schönen Ort auslöst.
In Zeiten wie diesen, wo das Reisen durch die globale Covid19-Lage erschwert wird, bricht nebst anderen Viren auch das Reisefieber aus. Trotz allem. Oder gerade wegen alledem. So viele Orte, die es noch zu sehen gäbe. Gerade jetzt, wo die Kreise immer enger geworden sind, wünschen sich viele Menschen in die Ferne. Nicht nur Katzensprünge nach hie und da – endlich wieder mal ans Meer ... oder einfach irgendwohin, wo man sich mit Händen und Füssen verständigen muss.
«Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.» Augustinus von Hippo
Auch, wenn es viel wahres hat, ist das Zitat von Augustinus doch etwas überspitzt formuliert. Genau genommen definiert sich ja eine Reise nicht durch die Distanz, die man zurücklegt oder wieviele Grenzen man dabei passieren wird. Man sagt ja, die Reise ist das Ziel. Erleben. Leben. Fühlen.
Geheimnisvoll und zu grössten Teilen unerforscht. Genau das macht die Faszination des Meeres aus. Das erste Leben auf unserem Planeten entstand im Meer ... vielleicht zieht es uns auch deshalb immer wieder so magisch an. Herkunft. Ewig. Zeitlos. Das Meer steht symbolisch für den Ursprung, das Weibliche und ebenfalls für den Zyklus von Geburt und Tod.
Geführte Meditationen werden oft mit einer Traumreise ans Meer beschrieben oder mit Meeresrauschen untermalt. Ob wir die Reise physisch begehen oder mental – das Meer heilt uns. In der Psychologie wird das Meer als Ort der Selbstwahrnehmung und Reflexion beschrieben. Ein Ort Ort der Ruhe und Entspannung, als Heil- und Energiequelle.
Wasser ist unser wichtigstes Grundnahrungsmittel. Zudem besteht der menschliche Organismus zum grössten Teil aus Wasser. Der Wasseranteil verändert sich im Laufe unseres Lebens und beträgt bei Babys etwa 80 Prozent und ungefähr 70 Prozent bei Erwachsenen. Das Meer bedeckt rund 70 Prozent der Erdoberfläche. Das macht unsere Körper selbst zu kleinen Planeten und in uns allen erstreckt sich ein Meer.
Mit diesem Wissen sollten wir sorgsamer umgehen und unser Verhalten gegenüber der Natur verändern. Mit der Verschmutzung der Ozeane mit Plastik, vermüllen wir nicht nur den Organismus unseres Planeten, sondern uns selbst. Die winzigen Plastikteilchen werden von den Meerestieren mit Plankton verwechselt und gefressen. So gelangt das Plastik in die Nahrungskette. Zurück zu uns. In uns. Aussen kehrt sich nach Innen. Das Innen kehrt sich nach Aussen. Das Meer ist uralt und unvergänglich. Es wird sich erholen. Es hat Zeit. Es wird überdauern.
«Ein Meer hört immer irgendwo auf, aber da fängt es auch wieder an». Anke Maggauer-Kirsche
Reisen wir ans Meer. Egal wie. Mit dem Auto. Zug. Flugzeug. Zu Fuss? Mental. Hauptsache immer wieder. Einfach stehen bleiben. Das Rauschen der Wellen ... das Glitzern der Wasseroberfläche ... Sehnsucht. Stille. Bewusstsein. Die Weite des Horizonts. Geheimnisvoll. Tauchen wir ein in das ewige Wasser ... in die Erinnerung der Welt. Wasser ist Leben. Wir sind Wasser. Also, lasst uns leben.
Meer davon.
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