Stillgelegt. Ungenutzt. Überwachsen. Verwildert. Übersehen. Brach.
Manchmal ist es nicht nur Land, das brach liegt, manchmal sind es auch Menschen ...
Ungenutztes Land erweckt den Konjunktiv und regt meist die Fantasie an. «Da könnte man doch mehr daraus machen ... könnte man da nicht etwas bauen ... da würde sich doch ein Pool oder so gut machen ...!?». Warum das Grund- oder Landstück ungenutzt ist, weiss man ohne nachzufragen nicht. Brachland wird meist aus wirtschaftlichen, regenerativen oder anderen Gründen nicht mehr bewirtschaftet.
Oft geschieht ähnliches mit Menschen. Das Potenzial des menschlichen Ackers wird von anderen nicht gesehen, manchmal auch vom Betroffenen selbst. Fähigkeiten, Kompetenzen und Möglichkeiten werden überwachsen. Stück um Stück verwildert und liegt brach. Gerade in der Landwirtschaft erfüllen Brachen aber wichtige Funktionen, wie die Nützlingsförderung, der Erosionsschutz und die Bodenruhe. Brachen bieten auch einer Vielzahl seltener Pflanzen und Tiere Lebensraum. Somit ist eine Brache noch lange keine Ödnis. Weder in der Natur noch beim Menschen.
Ein verwahrlostes, verwaistes Stück Land kann Einsamkeit und Traurigkeit vermitteln ... aber auch Schönheit. In Japan (ca. 1600) ist eine Form der Ästhetik, oder eher eine Grundhaltung allen Dingen gegenüber, entstanden, die die Schönheit in der Unvollkommenheit findet. Wabi-Sabi. Wabi-Sabi ist sehr eng mit dem Zen-Buddhismus verbunden und ist eine ganzheitliche Einstellung zum Leben. Ursprünglich bedeutet «Wabi», sich elend, einsam und verloren zu fühlen. «Sabi» bedeutet, alt sein, Patina zeigen, über Reife verfügen.
Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte. Es ist nicht der strahlende Glanz der Sonne, sondern der gebrochene des Mondes. Bemooster Fels, grasbewachsenes Strohdach, der leicht berostete Teekessel. «Es geht um die Hoheit, die sich in der Hülle des Unscheinbaren verbirgt, die herbe Schlichtheit, die alle Reize des Schönen offenbaren», wird Wilhelm Gundert, ein deutscher Ostasienwissenschaftler zitiert.
«In den Wäldern drüben, tief unter der Last des Schnees, ist letzte Nacht ein Pflaumenzweig erblüht».
Dieser berühmte Vers vermittelt die Essenz des Wabi und Sabi.
«Es nährt alles, was authentisch ist, da es drei einfache Wahrheiten anerkennt: nichts bleibt, nichts ist abgeschlossen und nichts ist perfekt. Beschränke alles auf das Wesentliche, aber entferne nicht die Poesie. Halte die Dinge sauber und unbelastet, aber lasse sie nicht steril werden». Richard R. Powell
Unterwegs entdeckt man unzählige Landschaften. Blühend. Gepflegt. Strukturiert. Aber auch überwachsen und verwildert. Im Alltag, begegnet man ebensolchen Menschen.
Bleib doch mal in der belebten Einkaufsstrasse stehen und stell dir die Menschen als Töpfe vor. Wie sieht das aus? Aus vielen spriessen schöne, blühend-bunte, exakt gepflanzte und regelmässig begossene Blumen. Aus anderen wächst alles kreuz und quer, auch stacheliges. Brachland in Töpfen. Manchmal versteckt sich aber hinter schönen Blumen auch trockene, verwilderte Fläche. Manchmal erblüht hinter Unkraut eine seltene und wunderschöne Pflanze ... In vielen Fällen vermittelt das Aussen, das Innen. Aber nicht immer.
In jedem Fall sollte man die natürlichen und menschlichen Wiesen und Acker besser betrachten. Begehen. Verstehen. Wie das Wabi-Sabi lehrt, die Schönheit in jeder Form der Natur und jedem Wesen in seiner natürlichsten und rohesten Form anzuerkennen. Es lehrt die Beseitung von künstlicher Schönheit und dem beinahe unerreichbaren und unnatürlichen Zustand der Perfektion. Es hilft, offen zu sein, für die Schönheit von Fehlern und Rohheit. Annehmen. Zulassen.
Brachland scheint ein verlassener und vergessener Ort zu sein. Im Gegenteil. Jedes Landstück hat eine Aufgabe und erfüllt einen Zweck – ob es natürliche oder mentale Weite ist. Wo kein Swimming-Pool für kurzes Plantsch-Spass-Vergnügen passt, macht sich ein Teich besser, der Tieren einen Lebensraum schenkt. Wo ein Familienhaus unter Umständen deplaziert wirkt, könnten sich Pferde in einem riesigen Gehege austoben. Wo zahlreiche Ideen spriessen, muss vielleicht gemäht werden, um Übersicht zu kriegen. Dort wo Resignation schon alles vertrocknet hat, braucht es vielleicht nur eine Giesskanne Wasser mehr ...
Egal ob es eine blühende oder eher verwelkte Landfläche ist, es ist der perfekte Ort für eine Vision. Deine Vision. Jäte. Pflanze. Baue oder lass die Abrissbirne kreisen. Steh in die Mitte des Feldes und mach was draus.
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