Grell.

Anfang März. Ein neuer Tag ist angebrochen. Es ist noch kalt. Dunst und Kälte verändern die Landschaft. Die sonst so klaren Silhouetten wirken unscharf und farblos. Monochrom. Irgendwie überbelichtet. So als würden sich die Berge nächstens auflösen. Wo sonst in der Weite, ferne Orte greifbar scheinen, ist selbst diese Wahrnehmung verwaschen. Grenzen überlagern sich. Alles vermischt sich.

 

Dieses Bild, diese Symbolik, steht als Metapher für den gegenwärtigen Zustand der Menschheit und der Gesellschaft. Vieles verliert sich in der Eile und der Unbeständigkeit. Viele Informationen. Viele Absichten. Viele Ambitionen. Viel. Von allem. Beteiligung steht über Wirkung. Die Relevanz verliert sich mit jedem neuen Thema, bei dem nur die Oberfläche angekratzt wird. Statt in die Tiefe zu gehen, wird im seichten Gewässer gewatet ... aber nass sollen trotzdem alle werden. 

 

Vermehrt setzt sich nur noch Schwarz-Weiss-Denken durch. Ohne Graustufen. Oft sogar nur noch einfarbig. Monoton. Farblose Meinungsdiktatur.

 

Grell.

 

Es blendet. Trotz der überzeichneten, beinahe konturlosen Landschaft, die sich immer mehr in eine Schwarz-Weiss-Aufnahme zu verwandeln scheint, tauchen hier und dort Bewegungen auf ... selbst aus dunklen, knorrigen Ästen spriessen zögerlich Blüten. Strahlend. Grün. Gelb. Und bunt.

 

In der ermatteten, betäubten Masse der Menschheit geschieht ähnliches ... hier und dort sind Bewegungen zu erkennen. Erwachen. Bunte Gedanken die sich aus dem lethargischen, sich selbst verschlingenden Kollektiv herauswinden. Eigenständig.

 

Ende März. Blumen wachsen zahlreich. Überall. Immer mehr. Kopf an Kopf werden sie zu einem farbigen Teppich, zu einem grossen Ganzen ... auch Menschen verbinden sich und werden eins. Die Einigkeit scheint aber wie bei den Blumen nur temporär zu sein. Aufblühen. Verblühen. Befristete Solidarität.

 

Blühen wir nur gemeinsam, wenn es die Zeiten verlangen? Leuchten wir nur kurz zusammen auf, um die gegenwärtige Dunkelheit zu erhellen? Reicht das aus? Ist die Eintracht und Harmonie nur ein Strohfeuer?

 

Wie wird aus dem grellen, unscharfen und flüchtigen Licht etwas anderes? Etwas beständiges? Wie wird aus Momenten Ewigkeit? Was kann Fundament sein, für das wackelige Gerüst kurzfristiger Verbundenheit?

 

Wie wird aus einem grellen, fiebrigen Flackern ein Leuchtfeuer ... eine ewige Flamme?

 

Wie sehen wir klar, wenn alles grell ist? Indem wir bewusster aber mit zugekniffenen Augen hinschauen, oder dadurch, dass wir den Blick abwenden? Beim Wegschauen verschliessen wir uns nicht dem Geschehnis sondern öffnen einen neuen Blickwinkel.

 

Perspektivenwechsel.

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